Wahrheit und Widerstand

Dieser Aufsatz befasst sich mit der Rolle und der Funktion der an die schwedische Dichterin und Schriftstellerin angelehnten Boye‐Figur im dritten Band von Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands . Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei ihr, wie bei den meisten Frauenfiguren im Roman, um eine Verkörperung einer Gegengeschichte zum männlich codierten Marxismus. Mit ihrer Einsicht – die sie in ihrem Roman Kallocain formuliert –, dass nicht nur der Westen, sondern auch die Sowjetunion in totalitärer Barbarei versinkt, kommt ihr die Funktion eines Korrektivs des bislang unhinterfragten Einheitsgedankens des antifaschistischen Widerstands zu. Im Zentrum des Aufsatzes steht aber Boyes Funktion nicht bloß als politisches, sondern vor allem poetologisches Korrektiv. Herausgearbeitet werden soll dies anhand einer Lektüre des Romans Kallocain . Ziel wird es sein zu zeigen, dass das dem Roman seinen Namen gebende Wahrheitsserum in strukturell analoger Weise funktioniert wie die von den Protagonisten in der Ästhetik des Widerstands geforderte, an Lenins Kulturresolution angelehnte proletarische Kunst: Mit seiner Diskursivierung von verborgenen, stummen Regungen des menschlichen Innenlebens wird das Wahrheitsserum zur Metapher für eine Kunst, deren widerständiges Potential gerade in ihrem Vermögen zur Aktualisierung und Weiterverarbeitung liegt.