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Die Rückkehr zum Kleinbürgermotiv. Zu Martin Walsers Roman Der Augenblick der Liebe
Author(s) -
Schlosser Jan T.
Publication year - 2006
Publication title -
orbis litterarum
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.109
H-Index - 8
eISSN - 1600-0730
pISSN - 0105-7510
DOI - 10.1111/j.1600-0730.2006.00826.x
Subject(s) - philosophy , humanities , art , political science
Nach der zunehmenden Ausklammerung des in Martin Walsers Autorschaft von jeher vitalen Kleinbürgermotivs in seinen seit Beginn der neunziger Jahre veröffentlichten Romanen mutet der in Der Augenblick der Liebe erfolgte Rückgriff des Autors auf eine Hauptfigur aus seinem Prosawerk der achtziger Jahre nur auf den ersten Blick überraschend an. Der Antiheld Gottlieb Zürn zeichnet sich zwar noch immer durch eine kleinbürgerliche Mentalitätsstruktur aus, doch neu ist, dass Walser das Kleinbürgermotiv und dessen wesentliche poetologische Grundlage, den Zentralbegriff der ,,Erfahrung‘‘, nunmehr eng mit dem Problemfeld der nationalen Identitätssuche verknüpft. Die Position La Mettries dient dabei als Parallele zu Walsers eigenem Standort als umstrittener Intellektueller. Walser macht die ,,Normierung‘‘– vordergründig auf sinnlichem, nachdrücklicher indes auf politischem Gebiet – als ,,Mangel‐Erfahrung‘‘ kenntlich. In Walsers Roman wird nicht nur die Einschränkung der nationalen Selbstentfaltungsmöglichkeiten der Deutschen reflektiert, vielmehr wird die Ausdehnung von La Mettries Gewissenskritik auf ,,den Fall Deutschland‘‘ erwogen.