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Hermann Bahr: Sprachskepsis und neue Erzählformen
Author(s) -
Rieckmann Jens
Publication year - 1985
Publication title -
orbis litterarum
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.109
H-Index - 8
eISSN - 1600-0730
pISSN - 0105-7510
DOI - 10.1111/j.1600-0730.1985.tb00825.x
Subject(s) - humanities , philosophy , art
Herman Bahrs erster Roman, Die gute Schule , erregte bei seinem Erscheinen im Jahre 1890 großes Aufsehen. Schon die ersten Rezensenten des Romans erkannten, daß die Modernität des Romans auf seiner experimentalen Form, insbesondere auf der in ihm weithin realisierten personalen Erzählsituation basierte. Theoretisch begründete Bahr seine Entscheidung für diese damals revolutionäre Erzählmethode in seinem Aufsatz »Die neue Psychologie.« In diesem Aufsatz verwirft Bahr die tradierte auktoriale und Ich‐Erzählsituation als inadäquat für die Aufgabe des modernen Romanschriftstellers, die Entstehung und Entwicklung psychischer Prozesse in ihren vorbewußten Stadien zu gestalten. Dieser Aufsatz erweist sich als eines der bedeutendsten Dokumente der Jahrhundertwende für die Theorie des Erzählens, da er im Keim das viel später von Stanzel entworfene Modell des Typenkreises der Erzählsituationen enthält. Bahrs Absage an die tradierten Erzählformen gründet in seiner Sprachskepsis, die in seinem Roman thematisiert und reflektiert wird. Diese sprachkritischen Reflexionen resultierten in Bahrs Fall jedoch nicht in einer Sprachkrise, wie bei anderen Schriftstellern der Jahrhundertwende, sondern in der Überzeugung, daß sich die Insuffizienz der verbrauchten Formeln durch sprachschöpferische Tätigkeit und die Erschließung neuer Formen des Erzählens überwinden ließe.