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Ästhetizistisches Wirkungsbewußtsein und narrative Ethik bei Thomas Mann
Author(s) -
Kurzke Hermann
Publication year - 1980
Publication title -
orbis litterarum
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.109
H-Index - 8
eISSN - 1600-0730
pISSN - 0105-7510
DOI - 10.1111/j.1600-0730.1980.tb00770.x
Subject(s) - philosophy , humanities , theology
Thomas Mann ist ein seiner Wirkung bewußter, ein Wirkungen planender Künstler. Dieses Wirkungsbewußtsein ist ihm selbst gelegentlich moralisch verdächtig, erscheint ihm, gesehen unter der Optik der Wagnerkritik Nietzsches, als demagogisches Inszenieren von Effekten, als pharisäisches Gesehenwerdenwollen. Es lenkt den Blick vom Kunstwerk ab auf den beifallheischenden Künstler. Thomas Mann ist Ästhetizist mit dem Willen zum Moralischen. Im Frühwerk bis zum Zauberberg verfällt jedoch alles Moralische der Kritik des Ästheten, der schopenhauerianisch die Moral als diejenige Art entlarvt, in der der Intellekt dem jeweiligen Willen dienstbar ist: Auch das Moralische ist nichts als ein Reiz, eine besonders sublime Art ästhetischen Genießens. Erst seit Joseph und seine Brüder gibt es vorbildhafte Moralität im Roman, gibt es eine Art ≪narrative Ethik≪. Ihr ästhetizistisches Dementi, also ihre Reduktion auf einen bloßen Effekt, wird in die Tagebücher abgedrängt. Der Aufsatz schließt mit einer Interpretation des Verhältnisses von Tagebuch und dichterischem Werk: die Tagebücher sind das ästhetizistische Therapeutikum zur Ermöglichung eines moralischen Werks.