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SELBSTFINDUNG UND PARTNERFERNE *
Author(s) -
Krusche Dietrich
Publication year - 1978
Publication title -
orbis litterarum
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.109
H-Index - 8
eISSN - 1600-0730
pISSN - 0105-7510
DOI - 10.1111/j.1600-0730.1978.tb00482.x
Subject(s) - philosophy , humanities
Die »Vereinigungen« wurden bisher vor allem auf die »Bedeutung« der dann verarbeiteten Fulle der Motive untersucht. Dabei wurde Literaturwissenschaft zuweilen in Tiefenpsychologie und anthropologische Spekulation abgedrängt; die Deutungsergebnisse enviesen sich als so schwer vermittelbar wie systematisierbar. Betrachtet man die beiden Texte unter dem Gesichtspunkt der binnenfiktionalen Kommunikationsverhältnisse, ergeben sich verhältnismäßig exakt beschreibbare Strukturen. Die Analyse dann der gestalterisch‐funktionalen Relation zwischen interfigureller Beziehungsstruktur einerseits und Binnenstruktur des zentralen Text‐subjekts andererseits ermöglicht Schlußfolgerungen hinsichtlich der dem Leser nahegelegten Problemerkenntnis und Bilanzierungsleistung. In beiden Erzahlungen wird eine » Vereinigung « von Geschlechtspartnern dargestellt, die nur in der Trennung der Liebenden möglich ist, sich vollziehend im Znneren der jeweiligen weiblichen Hauptfigur. Das, wodurch die Trennung bewirkt wird, ist eine Spaltung der erotisch‐geschlechtlichen Bedürfnisse der Heldin. So zeigen beide Erzählungen ausgeprägt polare Strukturen, und zwar sowohl auf der Ebene intrasubjektiver als auch auf der Ebene interfigureller Abläufe. In beiden Bereichen des Textgeschehens bilden jeweils zwei männliche Figuren (neben dem eigentlichen Geliebten, dem Primärpartner der Heldin, jeweils noch eine Komplementärfigur) die Pole der Anschaulichkeit: Im Hinblick auf die zentralen Textsubjekte Claudine bzw. Veronika sind der Ehemann Claudines und der »Ministerialrat« bzw. Johannes und Demeter nicht nur Geschlechtspartner, sondern zugleich Konkretisationen der antinomischen Elemente geschlechtlicher Selbst erfahrung. Wie der Ehemann Claudines bzw. Johanna für das Prinzip der individuierten Liebe stehen, so stehen ihre Komplementärfiguren für die unpersonliche, die »tierische« und damit »allgemeine« Liebe. Diese Doppelung der Funktion der männlichen Partnerfiguren hat, wirkästhetisch gesehen, eine entscheidende Bedeutung: In dem Maße, in dem das zwischenmenschliche Geschehen zurücktritt hinter den seelisch‐geistigen Implikationen der gespaltenen Liebesbediirfnisse der Heldin, kommt diesem die Funktion bloßer Veranschaulichung jener zu; während aber eine Lösung des Konflikts auf der Ebene der intersubjektiven Beziehungen gestalterisch gar nicht anvisiert wird, erscheint eine Harmonisierung des Seelenzustands des zentralen Textsubjekts als durchaus möglich; eine »unio mystica«, sich vollziehend im Seelengrund der Heldin, deutet sich an. Geschieht also die textliche Problemdefinition in der Dimension eines zwischenmenschlichen Konfliktfalls (eine Frau zwischen zwei ‐ in ihrer Verschiedenheit einander ergänzenden ‐ Männern), wird die Lösungsmöglichkeit in der Dimension subjektiver Innerlichkeit gespiegelt. Zu einem als sozial (kulturhistorisch) relevant aufgegriffenen Konfliktpotential wird dem Leser eine Bilanzierungsleistung nahegelegt, die sich als eine der »Virtualisierung durch Verinnerlichung« bestimmen läßt.