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Doppelte Erinnerung: Täter‐ und Opferidentitäten in Christa Wolfs Rekonstruktion Des Traumas Der Flucht
Author(s) -
Jansen Odile
Publication year - 2004
Publication title -
german life and letters
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.1
H-Index - 12
eISSN - 1468-0483
pISSN - 0016-8777
DOI - 10.1111/j.1468-0483.2004.00296.x
Subject(s) - art , philosophy , humanities
Adornos Frage aus dem Jahre 1959 ‘Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit?’ hat im Licht der neuesten Erinnerungsdebatte nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt. Ist es möglich, die Erinnerung an deutsche Opferschaft mit der Erinnerung an deutsche Täterschaft zu vereinen? Verdrängt die Geschichte der deutschen Kriegstraumata nicht die Geschichte von Auschwitz? Aus diesem Konflikt gehen ethische und ästhetische Probleme hervor, wie in literarischen Darstellungen deutscher Leidenserfahrungen erkennbar wird. In diesem Artikel wird eben jene Problematik am Beispiel verschiedener Prosaarbeiten der ehemaligen DDR‐Autorin Christa Wolf (1929) dargestellt, in denen die in der DDR tabuisierten Themen Flucht und Vertreibung zur Sprache gebracht werden. Die Flucht vor der Sowjetarmee im Jahre 1945 bildet eine Erinnerungsspur in diesen Prosaarbeiten, die durch den Konflikt zwischen emotionaler und historischer Wahrheit gekennzeichnet werden, sowie durch den Versuch, eigene Leidenserfahrung in Einklang zu bringen mit der nachträglich gewonnenen Einsicht in die Umstände, die zu Flucht und Heimatsverlust führten. Die Aufarbeitung der Vergangenheit wird dabei begrenzt, einerseits durch den ideologisch und erinnerungspolitisch bedingten Rahmen, in dem die Autorin sich bewegt, andererseits durch eine Fesselung an die narrativ nicht integrierbare Erfahrung der Flucht. Dabei tut sich eine konflikthafte Selbstbestimmung über die Bilder der Vergangenheit hervor. Opfer‐ und Täteridentität verschmelzen in der Perspektive eines ‘schuldlosen Schuldigen’.