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Verhaltensanpassungen junger Trottellummen (Uria aalge aalge Pont.) ans Felsklippen‐ und Koloniebrüten *
Author(s) -
Wehrlin Jürg
Publication year - 2010
Publication title -
zeitschrift für tierpsychologie
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.739
H-Index - 74
eISSN - 1439-0310
pISSN - 0044-3573
DOI - 10.1111/j.1439-0310.1977.tb00984.x
Subject(s) - gynecology , art , humanities , medicine
Guillemots breed without a nest, shoulder to shoulder, often on narrow cliff ledges. Each pair rears only its own chick. The study investigates behaviour patterns of chicks that could be considered as adaptations to these special living conditions. 360 h of field‐observation and 13 experiments with over 500 hand‐reared chicks show the following: Because of desire for warmth, body contact, and darkness, the chicks stay sheltered under one of their parents during most of the day. They avoid a precipice and are strongly attached to their home site. They quickly learn to recognize visual characteristics of the parents, the home site and striking surrounding features. Zusammenfassung Lummen bauen keine Nester und sitzen beim Brüten und Aufziehen der Jungen dicht gedrängt, Körper an Körper. Jedes Paar füttert und pflegt aber nur das eigene Küken. Da eine räumliche Trennung fehlt, müssen die einzelnen Lummenfamilien durch spezielle Verhaltensweisen von den Nachbarn isoliert sein. In vielen Kolonien liegen die Brutplätze auf schmalen Gesimsen senkrecht ins Meer abfallender Felswände. Die flugunfähigen Küken sind hier oft absturzgefährdet. Die vorliegende Arbeit untersucht Verhaltensweisen der Küken, die als Anpassung an diese speziellen Lebensbedingungen aufgefaßt werden können. Ausgedehnte Feldbeobachtungen haben folgendes ergeben: a) Lummenküken halten sich am 1. und 2. Tage während 96% des Tages geschützt unter einem der beiden Eltern auf. Auch ältere Tiere werden ausgiebig gehudert, absprung‐reife, 20 und mehr Tage alte Küken immer noch während 75 % des Tages. b) Die nicht gehuderten Küken sitzen am Brutplatz. Nur in Ausnahmesituationen verlassen sie diesen spontan, gehen dann aber nie zur Gesimskante. Erst absprungreife Tiere machen immer längere Ausflüge, kehren aber stets wieder zum Brutplatz zurück. Mit Laborexperimenten wurden die folgenden Eigenschaften junger Lummenküken ermittelt: Eine unvollständige Temperaturregulation bis zum 14. Tag und ein damit verbundenes Streben nach Wärme; ein ausgeprägtes Streben nach körperlichem Kontakt und nach Dunkelheit; Meiden eines Abgrundes und damit verbunden ein Tiefenwahrnehmungsvermögen. Die ersten drei Faktoren könnten bei der im Felde beobachteten starken Bindung an den Altvogel von Bedeutung sein. Unter ihm findet das Küken die angestrebte Umweltsituation Kontakt, Wärme und Dunkelheit vor. Die letzten drei Faktoren bestimmen die Beziehung des Kükens zum Gesims. Das von außen her auf den Brutplatz fallende Licht bewirkt, daß die negativ phototaktisch reagierenden Tiere zur Felswand hin, praktisch aber nie zum Abgrund hinlaufen. Die raumbegrenzende, kontaktbietende Felswand kann auch unabhängig von den Lichtverhältnissen anziehend wirken. Das Tiefenwahrnehmungsvermögen und das damit verbundene Stoppen vor dem Abgrund stellen eine zusätzliche Sicherung gegen den Absturz dar. In weiteren Experimenten wird gezeigt, daß das nach dem Schlüpfen vorliegende Reaktionssystem durch optische Erfahrungsbildung erweitert wird: a) Die Küken lernen ein Futter, Kontakt, Dunkelheit und Wärme bietendes Objekt außerordentlich rasch kennen. Schon nach 1 bis 3 nur wenige min dauernden Dressuren ist aus einer anfänglich negativen Reaktion (Abwenden, Flucht, Weinen) eine positive (Zuwenden, zum Dressurobjekt hingehen, Kontaktlaute) entstanden. b) Auf künstlichen Gesimsen aufwachsende Lummenküken prägen sich Merkmale ihres “Brutplatzes” ein. Sie erkennen diesen aufgrund von Objektmerkmalen und aufgrund seiner Lage in bezug auf markante Umgebungsmerkmale. Im Konkurrenzversuch richten sie sich nicht nach der Lage von Umgebungsmerkmalen, sondern suchen das Zielobjekt auch dann auf, wenn es sich am “falschen” Ort befindet. Es wird diskutiert, inwiefern die im Feld beobachteten und experimentell aufgezeigten Verhaltensweisen der Küken als Anpassung an die speziellen Lebensbedingungen betrachtet werden können.