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Zur Stammesgeschichte funktionell korrelierter Organ‐ und Verhaltensmerkmale: Ei‐Attrappen und Maulbrüten bei afrikanischen Cichliden
Author(s) -
Wickler Wolfgang
Publication year - 2010
Publication title -
zeitschrift für tierpsychologie
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.739
H-Index - 74
eISSN - 1439-0310
pISSN - 0044-3573
DOI - 10.1111/j.1439-0310.1962.tb00766.x
Subject(s) - art , humanities , philosophy
Zusammenfassung Ein morphologisches Merkmal der Haplochromis ‐artigen, nämlich eine Reihe sehr regelmäßig gebauter Farbflecke auf der Afterflosse, wurde im Dienste der Verständigung unter Artgenossen entwickelt, ist also ein Auslöser. Die Flecke sind den Eiern der Tiere nachgebildet. Farbe und Größe der Eier hängen nicht vom Wahrnehmungsapparat der Eltern, sondern von anderen Faktoren ab, sind also für die Eltern Schlüsselreize (Begriffsbestimmungen vgl. W ickler 1961 a). Der darauf eingestellte Wahrnehmungsapparat der brutpflegenden Eltern gibt aber die Richtung an, in der die Ei‐Attrappen spe‐zialisiert werden. Das ist der erste bekannte Fall einer innerartlichen Mimikry im weiteren Sinne, bei der also Vorbild und Attrappe zum selben Tier gehören. Diese Ei‐Attrappen werden in zwei Situationen zur Schau gestellt: in der Balz beim “Rütteln” und beim Laichakt in einer besonderen Besamungshaltung des ♀. Der taxonomische Wert dieses Verhaltens wird erörtert (S. 160). Haplochromis multicolor hat eine andere Ablaichbewegung und eine ganz andere Möglichkeit, Ei‐Attrappen zu bilden ausgenutzt. Gemessen an den geringen Unterschieden, auf Grund deren neue Cichlidengattungen aufgestellt wurden, reicht das sicher, H. multicolor (zusammen mit H. philander Weber) in einer eigenen Gattung von Haplochromis abzutrennen. Die Ei‐Attrappen entstehen aus der weit verbreiteten Perlfleckung der medianen Flossen; ontogenetisch, indem am Saum der Flosse neu gebildete Flecke die für alle Wachstums‐ und Regenerationszonen typische gelbe Farbe beibehalten, auch wenn der Flossenrand sich weiter und weiter von ihnen entfernt. Normale Perlflecke werden dann rot bis braun. Wahrscheinlich begann das Gelbbleiben phylogenetisch bei den letzten Flecken und griff auf immer frühere über, bis (zumindest bei einigen Arten) schon die allerersten Flecke aus einem dem noch überall wachsenden Flossenrand nahegelegenen gelben Farbfeld entstehen. Einige weitere Arten von Ei‐Attrappen werden erörtert. Ein genauer Verhaltensvergleich ergab ferner, daß man, anders als bisher üblich, unter den Cichliden Freilaicher (z. B. Tropheus ) und Substratlaicher, und daneben Boden‐ und Offen‐, Höhlen‐, Maulbrüter usw. unterscheiden muß. Maulbrüter und Bodenbrüter sind nicht scharf getrennt, sondern verbunden durch Zwischenstufen, sogar innerhalb der Gattung Tilapia. Einzelne Maulbrütermerkmale findet man bei manchen Arten in noch ursprünglicher, bei anderen in weit abgeleiteter Ausprägung. H. multicolor zeigt sogar als historischen Rest noch das für Substratbrüter typische Fächeln über dem Gelege. Als wichtiger Schritt zum Maulbrüten rückt das Aufnehmen der Eier ins Maul zeitlich immer weiter nach vorn in der Reihe der Fortpflanzungsver‐haltensweisen, ist also weitgehend von anderen unabhängig und ein Beispiel für Mosaikentwicklung im Verhalten. Da jedes Merkmal mit vielen, in ganz bestimmter Weise ausgeprägten anderen in einem Funktionszusammenhang steht, zieht jede Änderung an ihm Änderungen an anderen nach sich. Wo das tragbar bleibt, kann sich ein ganzes Wirkungsgefüge aus Organ‐ und Verhaltens‐merkmalen um‐ und neuordnen und sogar neue Aufgaben übernehmen. Das ist hier am Ablaich‐Verhalten dreier Haplochromis ‐Arten gezeigt. Die folgende Übersicht zählt die genannten Gesichtspunkte noch einmal auf und stellt die vorhandenen Präadaptationen dem jeweiligen “Entwicklungszwang” (im Sinne R enschs ) gegenüber; “Zwang” ist im weitesten Sinne gemeint: er herrscht, wo immer ein Selektionsvorteil für eine Änderung spricht.