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49. Siegfried Strugger: Zur Analyse der Vitalfärbung pflanzlicher Zellen mit Erythrosin
Publication year - 1931
Publication title -
berichte der deutschen botanischen gesellschaft
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.871
H-Index - 87
eISSN - 1438-8677
pISSN - 0365-9631
DOI - 10.1111/j.1438-8677.1931.tb03125.x
Subject(s) - biology , art
Zusammenfassung der Ergebnisse1 . Die vorliegenden Untersuchungen bearbeiten experimentell die Frage nach den physikochemischen Zustandsänderungen, welche der Protoplast im Verlaufe der vitalen und supravitalen Anfärbung mit Erythrosin erleidet. 2 . Es konnte gezeigt werden, daß die Zellen von Allium cepa (obere Epidermiszellen der Zwiebelschuppen) im Verlaufe der Anfärbung sehr weitgehenden Veränderungen unterworfen sind.a) Die Cytoplasmaviskosität nimmt erheblich zu. b) Die Plasmaströmung wird nach kurzer Zeit sistiert. c) Die Plasmastränge werden eingezogen. d) Die Tonoplasten werden an den Querseiten der Zellen als abgerundete scharf konturieite Membranen sichtbar. e) Die Kerne quellen zu kugeliger Gestalt unter erheblicher Volumszunahme auf und werden bei sehr intensiver Farbstoffspeicherung hyalin‐glasig, während sie in der unbeeinflußten Zelle linsenförmig sind und ein deutlich sichtbares Retikulum besitzen.3 . Durch die systematische Untersuchung und Beurteilung der Plasmolyseformen in den einzelnen Stadien der Farbstoff‐speicherung (1 Mol KNO3 als Plasmolytikum) konnte erwiesen werden, daß das Erythrosin in erster Linie eine Erhöhung der Kalipermeabilität der äußeren Plasmagrenzschicht bewirkt. Diese Permeabilitätserhöhung ist experimentell bereits nach kurzer Einwirkungsdauer der Farbstofflösung bei noch nicht sichtbarer Farb‐stoffspeicherung mit Hilfe der Plasmolyseformmethode nach WEBER (1924) mit KNO3 als Plasmolytikum nachweisbar.Als nächstes Stadium konnte das Eintreten der HÖFLERschen Kappenplasmolyse festgestellt werden. Dieselbe tritt infolge des gesteigerten Eintrittsvermögens des Kaliums in das Cytoplasma sofort in Erscheinung. An solchen Zellen ließ sich nach dem Verfahren von STRUGGER (1929, 1930) an den Kernen das Eintreten des Kaliums in das Protoplasma annähernd quantitativ abschätzen, und es wurde eine eingetretene Mindestkonzentration von 0, 3–0, 4. Mol KNO3 nachgewiesen. Dadurch wurde ein prinzipiell neuer Weg für die Untersuchung des Eintrittes von Stoffen in den Protoplasten im Gegensatze zu den Permeabilitätsuntersuchungs‐methoden, welche das Durchdringen von Stoffen durch die beiden Plasmagrenzschichten in die Vakuole verfolgen, eingeschlagen. Dieser Weg gestattet es, auf Grund der von der Konzentration eines Stoffes (in unserem Falle KNO3) streng abhängigen kolloiden Zustandsänderung eines protoplasmatischen Zellbestandteiles (in unserem Falle der Zellkern) auf die eingetretene Menge des Stoffes in den Protoplasten Schlüsse zu ziehen. Schließlich bewirkt die Farblösung im Stadium einer leichten Anfärbung eine weitere Steigerung des Eintrittsvermögens des Plasmolytikums in den Protoplasten, so daß eine plasmolytische Kontraktion der Vakuole allein zustande kommt, wobei das Cyto‐plasma stark aufquellend den ganzen Kaum zwischen dem Tono‐plasten und der Zellmembran erfüllt. Diese Bilder sind identisch mit der von DE VRIES (1885) beschriebenen Tonoplastenplasmolyse.4 . Je nach den äußeren Umständen tritt durch die Erythrosin‐wirkung zeitlich sehr verschieden das Irreversibel werden des Zellkernes im kolloidchemischen Sinne ein. 5 . Schließlich verliert auch das Oytoplasma im Stadium einer intensiven Anfärbung seine Quellungsfähigkeit, und es tritt Plas‐moschise ein. 6 . Als Endstadium der Farbstoffwirkung ist ein vollständiges Irreversibel werden und Erstarren des Protoplasten feststellbar, und auch der Tonoplast geht zugrunde. 7 . Wir müssen sonach die verschiedenen Plasmolysebilder im physikalisch‐chemischen Sinne folgendermaßen definieren:a) Die normale Plasmolyse tritt bei Semipermeabilität der inneren und äußeren Plasmagrenzschicht für das angewandte Plasmolytikum ein. Ist die Oytoplasmaviskosität oder das Haftvermögen des Protoplasten an der Membran sehr groß, so tritt Konkavplasmolyse ein. Ist dagegen a priori die Oytoplasmaviskosität eine geringe, oder wird die Oytoplasmaviskosität durch die spezifische kolloidaktive Wirkung des Plasmolytikums, welches in geringen Mengen in das Oytoplasma eindringt, verringert, so tritt Konvexplasmolyse ein. b) Ist das Eintrittsvermögen eines quellend wirkenden Elektrolyten (Plasmolytikum) durch die äußere Plasmagrenzschicht in das Oytoplasma gesteigert, so tritt bei einer eingetretenen Menge von 0,3–0,4 Mol (KNO3) die von HÖPLER (1928) beschriebene Kappenplasmolyse ein. Wir haben bis jetzt drei experimentelle Möglichkeiten, um die Kappenplasmolyse zu erzielen.ß) Behandlung durch 24 Stunden hindurch mit 1 molarer Kalisalzlösung (KÜSTER 1921, HÖFLER 1928). ß) Behandlung der Zellen mit Erythrosin. γ) Wirkung von Wundreizen.In allen drei Fällen wird das erhöhte Eintreten des Kaliums in das Protoplasma erreicht. In allen bisherigen Fällen ist die Kappenplasmolyse an die spezifisch kolloidchemische Wirkung des Kaliums oder eines verwandten Elementes gebunden.c) Ist das Eintrittsvermögen des Kaliums in das Cytoplasm weiter gesteigert, so tritt die Tonoplastenplasmolyse (DE VRIES 1885) ein. Das eindringende Kalium bewirkt einerseits eine plasmolytische Kontraktion des noch semi‐permeablen Tonoplasten, ruft aber andrerseits eine derartig enorme Aufquellung des Protoplasten hervor, daß eine Abhebung desselben von der Zellwand unterbleibt. Vorbedingung für das Eintreten der Tonoplastenplasmolyse ist demnach die Aufhebung der Semipermeabilität der äußeren Plasmagrenzschicht für das Plasmolytikum, Erhaltung der Semipermeabilität des Tonoplasten und eine spezifische Kolloidaktivität des angewandten Plasmolytikums. Demnach müssen wir im Gegensatze zu KÜSTER (1928) die Tonoplastenplasmolyse von der Plasmoschise abtrennen, da sie einen Sonderfall darstellt und mit Plasmazerreißung nichts zu tun hat. d) Die Plasmoschise ist morphologisch als plasmolytische Kontraktion des Protoplasten unter gleichzeitiger Plasmazerreißung definierbar. Physikalisch‐chemisch ist sie jedoch bei verschiedenen Konstellationen möglich.ß) Das Haftvermögen des Protoplasten an der Membran und die Cytoplasmaviskosität ist so groß geworden, daß Plasmoschise eintritt. ß) Wenn die äußere Plasmagrenzschicht für das Plasmolytikum permeabel geworden ist, während der Tonoplast seine Semipermeabilität beibehält, so tritt bei erhaltener Quellungsfähigkeit des Cytoplasmas Tonoplastenplasmolyse ein. Ist dagegen das Oytoplasma kolloidchemisch irreversibel geworden, so tritt die in unseren Experimenten in Erscheinung tretende Plasmoschise ein.e) Ist in diesem. Falle bei längerer Einwirkung der KNO3‐Lösung eine nachträgliche leichte Verflüssigung des Protoplasten möglich, so zeigen sich Bilder, die von einer echten Plasmolyse ohne das eindringliche Studium ihrer Genesis nicht zu unterscheiden sind. Aus diesen Ausführungen können wir ersehen, wie die mannigfaltigen Plasmolysebilder durch das Zusammenwirken der verschiedensten Faktoren, wie Permeabilitätsänderung der äußeren Plasmagrenzschicht, kolloidaktive Wirkung des angewandten Plasmolytikums, physikalisch ‐ chemischer Zustand des Oytoplasmas, zustande kommen.8 . Die vorliegenden Versuche zeigen mit großer Klarheit die Tatsache, daß die äußere und innere Plasmagrenzschicht in bezug auf das Durchtrittsvermögen für von außen dargebotene Stoffe sich prinzipiell verschieden verhalten können. Wir müssen in unseren Betrachtungen über Permeabilität streng unterscheiden und auseinanderhalten den Durchtritt von Stoffen durch die beiden Plasmagrenzschichten in die Vakuole und den Eintritt von Stoffen durch die äußere Plasmagrenzschicht in das Protoplasma. Außenfaktoren bewirken in unserem Falle eine verschiedene Veränderung der äußeren gegenüber der inneren Plasmagrenzschicht. Dieser Umstand erscheint in bezug auf die Bewertung der verschiedenen Permeabilitätstheorien von großer Wichtigkeit. 9 . In CaCl2 als Plasmolytikum konnten alle diese verschiedenen Plasmolysebilder nicht zur Beobachtung gelangen. Es zeigt sich klar der Ionenantagonismus zwischen Ca und K und die abdichtende Wirkung des Ca (SPEK 1928). 10 . Untersuchungen an Wurzelhaaren von Hydromystria bogotensis erwiesen ein gleiches Verhalten der Zellen gegenüber der Farbstofflösung. Die Permeabilitätserhöhung der äußeren Plasmagrenzschicht geht sehr rasch vor sich, wobei keinerlei Störung der Vitalität der Zelle beobachtet werden konnte. Die Versuche ergaben eine vollständige Reversibilität der Permeabilitätserhöhung. 11 . Die Tatsache, daß das Erythrosin in erster Linie bereits selbst die permeablen Eigenschaften des Protoplasten verändert, mahnt zur unbedingten Vorsicht bei der Anwendung der Vital‐färbungsmethode für die Beurteilung der Permeabilitätsänderungen des Protoplasten. 12 . Die mit Erythrosin vorbehandelten Epidermishäutchen erwiesen sich gegenüber Wundreizen als außerordentlich sensibilisiert. Es konnte gezeigt werden, daß es sich dabei um eine Sensibilisierung. durch Summationswirkung verschiedener Einflüsse mit gleichem physikocheinischem Effekt auf die Zellen handelt. 13 . Die Ergebnisse von KÜSTER (1926), GICKLHORN (1927) und ALBACH (1928) bezüglich der Bedeutung des Alters der Zellen, der Wundreizwirkung und der Ansäuerung der Farbstofflösung für die Farbstoffspeicherung konnten auch im Hinblick auf die Veränderungen des Protoplasten vollauf bestätigt werden. 14 . Im noch reversiblen Zellkern erfolgt die Farbstoff‐speicherung am intensivsten in den Nukleolen. Im übrigen wird der Farbstoff nur in der Kerngrundsubstanz (Karyolymphe) gespeichert. Das Karyotin bleibt vollkommen ungefärbt. 15 . Durch geeignete Versuchsanordnung konnte gezeigt werden, daß die photodynamische Wirksamkeit des Erythrosins für alle diese Veränderungen der Zellen nicht als Ursache in Frage kommt. Die Möglichkeit einer chemischen Beeinflussung der Zellen durch das Erythrosin wird in den Vordergrund gerückt. 16 . Wenn auch die Definition der Vitalfärbung heute durchaus schwierig und unklar geworden ist, so kann man doch aus den vorliegenden Versuchen die Ableitung machen, daß man bei allen Anfangsstadien der Farbstoffspeicherung bis zum Irreversibelwerden des Kernes von einer vitalen Färbung der Zelle sprechen kann, und daß vom Moment des Eintrittes der Irreversibilität des Kernes die Färbung zumindest als supravital zu gelten hat.