Premium
Malen nach Zahlen? Bernhard Schlinks Der Vorleser und die Unfähigkeit zu trauern
Author(s) -
Schmitz Helmut
Publication year - 2002
Publication title -
german life and letters
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.1
H-Index - 12
eISSN - 1468-0483
pISSN - 0016-8777
DOI - 10.1111/1468-0483.00231
Subject(s) - humanities , art , philosophy
Der ungeheure Erfolg von Bernhard Schlinks Der Vorleser hat den Roman in Deutschland und im Ausland als einen zentralen Text zur Vergangenheitsbewältigung institutionalisiert. Kritik wurde dabei vor allem an Schlinks empathischer Täterdarstellung geübt, sowie an seiner Darstellung der zweiten Generation als Opfer der Täter. Der Aufsatz analysiert Schlinks Text als historischen Roman über das Verhältnis zwischen Tätergeneration und den Nachgeborenen. Die zentrale These ist, dass Der Vorleser seinen Protagonisten und dessen Identitätskonflikt anhand von Theoremen aus Alexander und Margarete Mitscherlichs Die Unfähigkeit zu trauern entwirft. Schlinks Konstruktion des Verhältnisses zwischen Hanna Schmitz und Michael Berg wird anhand neuerer psychoanalytischer Forschungen zum Fortleben seelischer Konflikte aus dem Nationalsozialismus in der ‘zweiten Generation’ als Hörigkeitsverhältnis erkennbar, aus dem der Protagonist nicht mehr herausfindet und somit die verdrängte Melancholie der Tätergeneration und auch deren mangelnde Einfühlung in die Opfer erbt. Damit rückt auch Schlinks Täterdarstellung in ein neues Licht, die durch die Perspektive des melancholischen Subjekts Michael gebrochen und hinterfragbar wird.