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Unzeitgemässe Konjunktionen: Saturn und Psychologie in Eduard Mörikes Novelle Mozart Auf der Reise Nach Prag
Author(s) -
Busch Stefan
Publication year - 2000
Publication title -
german life and letters
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.1
H-Index - 12
eISSN - 1468-0483
pISSN - 0016-8777
DOI - 10.1111/1468-0483.00160
Subject(s) - philosophy , humanities , art , novella , literature
In Mörikes Novelle ist Mozart ein Kind Saturns, jenes Gestirns, das gema¨ß astrologischer und humoralpathologischer Lehre Melancholie bewirkt und dem alle herausragenden schöpferischen Charaktere unterstehen, weil nach antiker Über‐lieferung alle genialen Menschen Melancholiker sind. Der Text ist nicht nur, wie die Forschung bis vor wenigen Jahren annahm, von einer aus Todesnähe undbewußtsein erwachsenden Trauer grundiert, sondern von einem dichten, kunstvoll geknüpften Netz saturnisch‐melancholischer Motivik durchzogen. Das Wissen um diese Überlieferung war jedoch um die Mitte des 19. Jahrhunderts verloren gegangen, ein darauf aufbauendes Kunstwerk hätte als obsolet gelten müssen. Der folgende Beitrag analysiert, wie es Mörike mittels eines Verfahrens des ‘disguised symbolism’ (Erwin Panofsky) gelang, die saturnische Bildlichkeit zu verwenden und dennoch dem Vorwurf der Unzeitgemäßheit zu entgehen. Wie sich dabei zeigt, ist es nur scheinbar paradox, daß die einer vergessenen Semantik entstammenden und deshalb ins Disparate entlassenen Signifikanten zu illusion‐sstiftenden Details in einem ästhetisch zeitgemäßen Text wurden. Die jahrhunder‐tealten Attribute Saturns erscheinen nicht als Ausstellungsstücke in einer ‘Art Rumpelkammer sinnfälliger Symbole’ (Georg Luka´cs): Mozarts Spazierstock, sein verunglückter Kauf von Gartengeräten, Anflüge von Geiz, Träume von materiellem Wohlstand und ländlichem Obstanbau sind Saturnalien, die nichts Sinnbildliches mehr an sich haben, sondern durch ihre Integration in den Gang der Erzählung das Genie für den Leser sinnenfällig werden lassen.