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Zwei Auffassungen von der Sprache, Poesie und Nachahmung: Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Schiller 1
Author(s) -
Hlobil Tomáš
Publication year - 2001
Publication title -
orbis litterarum
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.109
H-Index - 8
eISSN - 1600-0730
pISSN - 0105-7510
DOI - 10.1034/j.1600-0730.2001.d01-35.x
Subject(s) - philosophy , humanities , art
Der Aufsatz untersucht den Unterschied zwischen Schillers und Lessings Vorstellungen von Sprache und Poesie. Lessing reflektierte die Poesie mit Hilfe der wolffianischen Termini (vgl. vor allem natürliche und willkürliche Zeichen ). Seine gleichzeitige Überzeugung von der Willkürlichkeit der Worte und von der Priorität der natürlichen Zeichen bewog ihn, die Schlüsselfrage der damaligen Literaturästhetik zu stellen: Wie kann man die Sprache in eine Art natürliche Beziehung zur Wirklickeit bringen und dadurch die Willkürlichkeit der Sprache in der Poesie überwinden? Denn anders wäre die traditionelle aristotelische Auffassung der Poesie als Naturnachahmung nicht mehr logisch zu verteidigen. Auch Schiller reflektierte die Kunst als Naturnachahmung. Im Gegensatz zu Lessing arbeitete er aber nicht mehr mit dem Konzept der natürlichen und willkürlichen Zeichen, denn er fand – unter dem Einfluß Kants – die Zeichen aller Künste als heterogen mit dem geschilderten Objekt. Alle Künste ahmen die Natur ausschließlich aufgrund einer “formalen Ähnlichkeit” mit dem dargestellten Gegenstand (d.h. nicht aufgrund einer Stoffähnlichkeit zwischen den Zeichen und der Natur) nach. Eine eigentümliche Schwierigkeit, die die dichterische Nachahmung begleitet, besteht nach Schillers Meinung nicht in der Willkürlichkeit, sondern in der Allgemeinheit ihrer Zeichen – der Worte. Durch Kant beeinflußt empfand Schiller die Allgemeinheit der Sprache viel stärker, als es die früheren, durch Wolff geprägten Ästhetiker je getan hatten. Denn Kant trennte die Begriffe eindeutig von den Anschauungen und charakterisierte sie als “bloße” leere Formen des Verstandes. Gleichzeitig wurden die Begriffe traditionell als Bedeutungen von Worten bezeichnet. Diese beiden Charakteristiken brachten Schiller zur Überzeugung, daß die Sprache nicht imstande ist, eine individuelle, sinnlich anschauliche Situation auszudrücken, wobei er die Kantsche Ansicht teilte, daß man gerade nur zu solchen Situationen ästhetische Stellung beziehen kann. Die Fähigkeit, der allgemeinen Sprache eine Form einzuprägen, die dem Leser die Darstellung einer anschaulichen Situation (d.h. die Naturnachahmung) vermitteln kann, reflektierte Schiller als eine geheimnisvolle Begabung, die nur künstlerischen Genies zu eigen ist, und die man im Prinzip nicht erklären kann.