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Wie entsteht eigentlich Turbulenz?
Author(s) -
Großmann S.
Publication year - 1995
Publication title -
physikalische blätter
Language(s) - German
Resource type - Journals
eISSN - 1521-3722
pISSN - 0031-9279
DOI - 10.1002/phbl.19950510720
Subject(s) - physics , gynecology , philosophy , medicine
Bei dieser Frage denkt man an die Experimente zur Rohrströmung von O. Reynolds (1883), bei denen durch Injektion von Farbstoff die glatten Linien laminarer Strömung und die wild verschlungenen, verwirbelten und sich verteilenden Linien turbulenter Strömung eindrucksvoll vor Augen geführt werden. Man denkt an die Reynoldszahl Re = Ul/v und an das Reynoldssche Gesetz der Ähnlichkeit von Strömungen in gegebener Geometrie bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten U , Längenskalen l und kinematischer Viskosität v , wenn nur die Reynoldszahl dieselbe ist. Und man weiß, daß Turbulenz erst bei größeren Reynoldszahlen auftritt. Wie aber kommt es überhaupt dazu? Erst jetzt, mehr als 150 Jahre nach dem Hagen‐Poiseuilleschen Gesetz, scheinen wir dem Mechanismus der Turbulenzentstehung auf der Spur zu sein. Er hat wohl wenig mit den so intensiv studierten Instabilitäten und Musterbildungsprozessen zu tun. Es ist die trickreiche Kunst der hydrodynamischen Nichtlinearität, die durch nicht‐normale Ankopplung an die laminare Grundströmung kleine Störungen trotz globaler Stabilität vorübergehend verstärken kann, sie dann im erstarkten Zustand, bevor sie weggedämpft werden, Wechsel wirken läßt, so daß wieder neue verstärkbare Strömungsstörungen erzeugt werden, usw. Weil nicht‐linearitätsbedingt, folgen Wachstum‐Verstärkung‐Umverteilung/Dämpfung und wieder Wachstum usw. einander unregelmäßig, nichtperiodisch, chaotisch und zudem konvektiv, kurz: turbulent. Es liegt an der Nicht‐Normalität der um die laminare Strömung linearisierten Bewegungsgleichungen, weshalb es nicht allein auf die Eigenwerte ankommt, die überraschenderweise durchaus alle dämpfend bleiben können, sondern auch auf die Eigenvektoren. Diese sind nicht mehr orthogonal, sondern als Folge der Nicht‐Normalität richtungsgebündelt an die laminare Strömung angepaßt . Um nicht angepaßte Störungen ebenfalls in Strömungsrichtung zu drehen, kommt es zur Energieentnahme aus der Grundströmung und dadurch zur vorübergehenden Verstärkung. Dann kann die Nichtlinearität eingreifen und neu mischen. Nicht‐normale Eigenwertprobleme fristeten bisher in der Physik ein Mauerblümchendasein — zu unrecht, wie sich jetzt zeigt.