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Feministische Einschatzungen der europaischen Frauen- und Geschlechterpolitik sind ambivalent. Einerseits gilt die EU als "Herrenhaus" (Schunter-Kleemann 1992), das nationalstaatliche Geschlechterungleichheiten auf supranationaler Ebene wiederholt oder gar verstarkt, andererseits werden die institutionellen Grundlagen der EU als Chance fur einen neuen Geschlechtervertrag unter feministischen Vorzeichen gesehen (vgl. Piepenschneider 1996). In Bezug auf geschlechtergerechte Partizipation und Reprasentation sind die EU-Institutionen offensichtlich defizitar: Prima vista ist die EU ein "Mannerclub", und alle Gremien sind im wahrsten Sinne des Wortes "bemannt". 1 Bilder von EUGipfeln sind monochrom: Das Grau der Anzuge uberwiegt, und ein "Gruppenbild mit Dame" kann oft nur unter Hinzuziehung von Ubersetzerinnen inszeniert werden. Das vielbeklagte Demokratiedefizit der EU ist also auch ein Defizit weiblicher Reprasentation. Geschlechtersensible Institutionen aktiver Staatsburgerschaft auf EU-Ebene gibt es ebensowenig wie eine inklusive und gleichwohl differenzierte europaische Offentlichkeit, in der frauenpolitische Themen debattiert werden (vgl. Lemke 1999b; Liebert 1999). Allerdings ware es verkurzend, die Institutionen, Instrumente und Masnahmen der EU generell unter dem Aspekt der Verschlechterung fur Frauen zu begreifen. Mit der Entstehung eines supranationalen Staatsgebildes ist die Moglichkeit verbunden, mannliche Geschlechterregime, die den National staaten historisch eingeschrieben sind, zu erschuttern. Und immerhin sind die Mannerquoten im Europaischen Parlament (70%) und unter den KommissarInnen (75%) deutlich niedriger als in vielen nationalen Parlamenten und Regierungen. 2 Vor allem aber sind die EU-Institutionen offener fur frauenpolitisches Lobbying als nationale Organe (vgl. Meehan/Collins 1996, 233), was sich sowohl in den kommissionellen Aktionsprogrammen fur Frauen wie auch in der Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofes gegenuber gleichstellungspolitisch resistenten nationalen Regierungen niederschlagt. Divergierende Einschatzungen der EU-Frauenpolitik haben zweifellos auch mit unterschiedlichen nationalen frauen- und wohlfahrtspolitischen Kulturen zu tun: Fur Grosbritannien, Deutschland und Osterreich gilt die EU als ein Motor fur Gleichstellungspolitik, da sie ein Rahmenwerk zur Verfugung stellt, das es Frauenpolitikerinnen erlaubt, reformfeindlichen nationalen Regierungen Gleichstellungsmasnahmen gleichsam abzupressen (vgl. u.a. Gregory 1997, 243; Kodre 1998). Demgegenuber ist die EU-Skepsis skandinavischer Frauen bekanntermasen gros (vgl. u.a. Dahlerup 1993).

Vom Nationalstaat zum Europäischen Reich? Staat und Geschlecht in der Europäischen Union