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Würde ist selten geworden. Das war früher anders. Mit Würde hob sich der bessere Mensch vom schlichteren ab. Würde hatte man mehr oder weniger per Geburt, wie etwa der Adel. Unter gün stigen Voraussetzungen konnte man sie erwerben. Sie folgte der gesellschaftlichen Hierarchie und war abgestuft ver teilt. Jede Stufe, vom Bauer bis zum Stellvertreter Christi, hatte ihre eigene Würde, die des besser Gestellten ge genüber dem Schlichteren. Nach außen hin zeigte sie sich in der Kleidung, im Verhalten und im Ton, den man miteinander pflegte. Sie war das Erscheinungsbild einer gottgewollten Ordnung. Und heute? Alle Menschen gelten als gleich und deshalb als von Geburt gleich würdig. Jeder Mensch, heißt es ferner, besitzt gleichermaßen eine allen Menschen gemeinsame Menschenwürde, der Kinderschänder nicht weniger als der Papst. Was aber ist Menschenwürde? Wenn jeder sie gleichermaßen hat, wenn sie den gemeinsamen Querschnitt aller Arten von einzelpersönlicher Würde darstellt, wenn eine Portion davon niemandem zukommt, sobald sie auch nur einer nicht hat, dann kann nicht viel davon da sein. Sie reduziert sich darauf, dass der Mensch Mensch ist und als solcher gelten kann. Er kann zwar von sich aus nicht wissen, was er ist, und nicht, was seine spezielle Würde ist; aber die Hochreligionen offenbaren es ihm. Sie sagen: Der Mensch ist von Gott als dessen Ebenbild geschaffen; das gibt ihm Würde gegenüber dem Rest der Schöpfung. Doch spätestens seit Darwin wachsen die Zweifel daran. Am Ende steht hinter der durch diese Zweifel ent blößten Würde weiter nichts als die Besonderheit, Mensch zu sein. Der Mensch hat dennoch diese Würde nicht selbst erworben und kann sie nicht verlieren; ob Ebenbild Gottes oder säkularisiert: Sie ist ihm kraft seiner Existenz verliehen. Eingedenk dieser Würde beansprucht er Menschenrechte, bzw. die in den Verfassungen verbrieften Grundrechte. Er spricht sich ein Recht auf Leben und Gesundheit zu (das er letztlich nicht einfordern kann), auf Freiheit in allen ihren Formen, auf Schutz der Persönlichkeit etc. Diese grund rechtlich geschützten Inhalte projiziert er auf die Menschenwürde, aber die Projektion ist nicht die Menschenwürde selbst. Sie kann sich ändern. Wenn sich die Gesellschaft verändert, werden die Grundrechte dem verändertem Stand angepasst. Das Anpassen erfolgt, eingedenk der Ebenbildlichkeit, gut überlegt und basis de mo kra tisch ausgewogen. Der dabei eingelegte Ernst bezeichnet die Bedeutung der Grundrechte. Sie sollen für immer gültig sein; aber bei allen Bemühungen um ihre Nachhaltigkeit kann sie der Mensch dennoch ändern, spricht er sie sich ja selber zu. Sie sind ihm nicht verliehen. Die Menschenwürde hingegen ist es. Sie bleibt für immer unbestimm bar die gleiche, ist sie ja auch mit dem Menschen und nicht von ihm geschaffen. Im vergangenen Jahrzehnt fiel mir etwas auf, das ich nur schwer mit „Würde“ vereinbaren kann: Zunehmend mehr Menschen nehmen ihre Grundrechte nicht ernst. Zum Beispiel verzichten sie auf ihr Informationelles Selbstbestimmungsrecht und darauf, sich vor der Neugier der Gesellschaft zu schützen. Sie geben im Gegenteil dem Internet ihr Intimstes lustvoll preis. Jeder Internetbenutzer darf es hören und sehen und Spaß daran haben. Dieser Exhibitionismus scheint solchen Menschen mehr zu geben und ihnen wichtiger zu sein als der Schutz vor den Folgen. Spaß geht vor. Lust auf Spaß, liebe Leserinnen und Leser, ist historisch nichts Neues. Doch ruft man heute nicht lediglich nach Brot und Spielen oder lobt sich Wein, Weib und Gesang. Man will sich am anderen amüsieren und umgekehrt ihm Spaß bieten. Wenn das in wachsendem Umfange ernsthaft so empfunden wird, dann könnte es vielleicht sein, dass eine neue Staatsbürgergeneration zum Schutz ihrer so verstandenen Menschenwürde statt des lästigen Informationellen Selbstbestimmungsrechts sich ein Grundrecht auf Spaß gibt.