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Sehenlernen und Pseudoskopie
Author(s) -
Arndal Steffen
Publication year - 2007
Publication title -
orbis litterarum
Language(s) - German
Resource type - Journals
SCImago Journal Rank - 0.109
H-Index - 8
eISSN - 1600-0730
pISSN - 0105-7510
DOI - 10.1111/j.1600-0730.2007.00895.x
Subject(s) - art , humanities , philosophy
Die Entwicklungsfähigkeit des Sehens, die dem Sehenlernen Maltes in Paris zugrunde liegt, ist keine Erfindung Rilkes, sondern eine Vorstellung, die in die Aufklärung zurückreicht. Als Reaktion gegen die anfängliche Betonung des im kognitiven Sinne ,,richtigen‘‘ Sehens im Zeichenunterricht des 18. Jahrhunderts entstand um 1900 eine u.a. von John Ruskin und der Kunsterziehungsbewegung inspirierte Pflege eines eher kontemplativen ,,künstlerischen‘‘ Sehens, das von Rilke weiterentwickelt wurde. Von der Kunst Cézannes beeinflusst, nutzte er verschiedene Aspekte der binokularen Raumwahrnehmung, um abstoßende Gesichtseindrücke in die Totalität des ,,Seienden‘‘ einzuordnen. Durch dieses neue Sehen versucht Malte, die abschreckenden Aspekte seines Pariserlebnisses zu verarbeiten, gleichzeitig zeichnen sich erhellende Zusammenhänge zwischen der Bedeutung des Gesichtssinns im mittleren Werk Rilkes, etwa auch in den Neuen Gedichten , und der Sichtbarkeitsproblematik im Spätwerk, z.B. in den Duineser Elegien , ab.